Bilder Symposium 1995 - 1995 Symposium der Malerei
1995 Symposium für Konkrete Malerei Ost-West
Getulio Alviani, Milano (I), – „Zwei Hexagane und ein Virtueller Kubus“
Wolfgang Bosse, Dresden (D), – „1200 Entscheidungen Ja-Nein“
Rita Ernst, Zürich (CH), – „Rhythmus 4“
Ägidius Geisselmann, München (D), – „Beratzhausener Zyklus Iund II“
Andrzej Gieraga, Lodz (PL), – „Bild Nr. CCLVI“
Milan Grygar, Praha (CZ), – „Partitur der Vertikale“
Haasz Istvan, Budapest (H), – „Tebarz Zrabet“
Jean-Pierre Husquinet, Liege (B), – „Beratzhausen“
Peter Liebl, Donaustauf (D), – „Verkündigung“
Josef Linschinger, Traunkirchen (A), – „Kreuz“
Claude Pasquer, Morogues (F), – „Himmelsrichtungen“
Stefan Sevastre, Bukarest (RO), – „Ohne Titel“
Beratzhausen - Kunst - Europa
Die Marktgemeinde Beratzhausen und das Kuratorium Europäische Kulturarbeit haben in den vergangenen Jeahren zahlreiche humanitäre Hilfsaktionen und kulturelle Aktivitäten entwickelt, die weit über das Gebiet der Oberpfalz hinaus bekannt geworden sind. Ziel dieser Bemühungen war immer, die Menschen vorbehaltlos in den Mittelpunkt des Geschehens zu stellen und von der Basis eines kleinen Ortes aus zur Verwirklichung des europäischen Gedankens beizutragen.
Während zu einer französischen Gemeinde seit 1975 eine sehr lebhafte Partnerschaft besteht, die mit kulturellen Veranstaltungen bereichert wird, sind die humanitären Hilfsaktionen von Beratzhausen seit 1990 auf Rumänien konzentriert. Bald wurde den Helfern bewußt, daß die Not nicht allein eine materielle Seite hatte. Die Sehnsucht nach sozialen Beziehungen und kulturellem Kontakt zu aufgeschlossenen Menschen im Westen konnte nicht allein mit Sachspenden befriedigt werden. So plante das Kuratorium im Oktober 1991 eine „Rumänische Kulturwoche“ in Beratzhausen. Der Ort empfing eine siebzigköpfige Delegation rumänischer Kulturschaffender. Mit Ausstellungen über die Kunstgeschichte und zeitgenössische bildende Kunst des noch fremden Landes, folkloristischen Darbietungen und klassischer Musik, wissenschaftlichen Vorträgen und Fachgesprächen stellte sich eine Kultur zur Diskussion, die trotz Unterdrückung und politischer Indoktrination erstaunliche Überlebensfähigkeit und Selbstbewußtsein bewahrt hatte.
Mit dieser „Rumänischen Kulturwoche“ hatten die „Hilfeempfänger“ den Menschen in Beratzhausen eine kulturelle Bereicherung zurückgegeben und ein künstlerisches Engagement geweckt. Die Kunst sollte von nun an neben dem persönlichen Gewinn auch menschliche Begegnungen ermöglichen.
So fand ein Jahr später ein Symposium rumänischer Bidhauer in Beratzhausen statt. Sechs der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler des Landes meißelten Großplastiken aus bulgarischen Kalksandstein. Anfangs schien eine Konfrontation konservativen Kunstverständnisses mit der angeblichen Unangemessenheit sogenannter moderner Kunst im ländlichen Raum unausweichbar. Die örtliche Diskussion, die über die Kunst entstanden war, spiegelte vielleicht auch die Angst vor dem bisher Unbekannten, dem Fremden wieder. Die Bewältigung dieser Diskussion hat im Ort Spuren hinterlassen, Spuren der Verständigung.
Die Einwände konnten zerstreut werden: Die geschaffenen Arbeiten bildeten durch genau überlegte Standortwahl ein perspektivisch-ästhetisch ausgewogenes Verhältnis zueinander und zu ihrem Umfeld. Außerdem sind sie von eher gemäßigter Modernität und entsprechen so gar nicht der landläufigen Vorstellung von „unverständlicher heutiger Kunstgestaltung“ - im Gegenteil: bezugnehmend auf die allermenschlichste Frage nach dem Sinn des Lebens sind die sechs Plastiken inhaltlich christlichen Positonen verpflichtet und machen sich durch ihre ikonographische Einbindung in gemeinsame religiöse Grundwerte auch dem weniger geübten Kunstbetrachter intellektuell verfügbar. Wesentliches zur Akzeptanz leisteten allerdings die Bildhauer selbst durch ihre harte körperliche Arbeit und durch ihre persönlichen Kontakte in der Gemeinde.
Nach diesem erfolgreichen Symposium überlegte das Kuratorium sich weitere Wege, die mit Hilfe der Kunst menschliche Begegnungen ermöglichen konnten. Es entstand die Idee einer Ferienmalakademie. Es gelang, zwei rumänische Künstler von internationaler Geltung als Dozenten zu gewinnen. 1993 fand die erste Internationale Ferienmalakademie in Beratzhausen mit 34 Teilnehmern statt. Der Ort wurde für mehrere Wochen zu einer „Malerkolonie“, in der sich künstlerisch Interessierte zum gemeinsamen Arbeiten, zum Gedankenaustausch und Feiern zusammenfanden. Diese erfolgreiche Malakademie wird seitdem jährlich fortgesetzt und ist ein fester Bestandteil des Beratzhausener Kultursommers. Begleitend zur Malakademie werden Kunstausstellungen gezeigt und private Aufträge an Künstler vermittelt.
Die Fortsetzung der kulturellen Aktivitäten sollte 1995 einen weiteren Höhepunkt erfahren: Die Europagemeinde Beratzhausen feiert in diesem Jahr die 2ojährige Partnerschaft mit der französischen Gemeinde Ceyrat und die fünfjährige Verbindung mit den Freunden in Rumänien. Das Kuratorium Europäische Kulturarbeit plante ein Symposium, das zum einen das Engagement in der Kunst fortsetzen sollte und zum anderen die bisherige europäische Achse: Beratzhausen - Frankreich - Rumänien wesentlich erweitern sollte. Man suchte ein Thema, das zur Begegnung vieler europäischer Künstler prädestiniert war.
Die Konkrete Kunst hat als wichtiger Zweig in der Stilentwicklung des 20. Jahrhunderts die Kunstgeschichte ganz Europas geprägt, andererseits sind gerade in unserem engeren bayerischen Raum Fixpunkte dieser Kunstrichtung verankert - Kandinsky, Max Bill oder etwa das 1992 eröffnete Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt. Schließlich verbindet die Konkrete Kunst in ihren Ausdrucksformen abstrakter Gestaltung unterschiedlichste Künstler im Westen und im Osten Europas, sie war daher in besonderem Maße fähig, den Beratzhausener Kultursommer wie in den Jahren zuvor unter dem Motto stehen zu lassen: Europa zu Gast.
Die Bürger Beratzhausens waren wieder Gastgeber. Sie haben inzwischen eine langjährige Erfahrung in der Auseinandersetzung mit bisher Fremdem, Ungewohntem, schließlich Anerkanntem und Geschätztem. Das Kuratorium war sich bewußt, daß das Thema „Die Konkrete Kunst“ eine besondere Herausforderung für den Ort werden würde. Mit einer Gastausstellung des Museums für Konkrete Kunst in Ingolstadt im Beratzhausener Zehentstadel und mit Veröffentlichungen in der Zeitung wurden die Beratzhausener an das Thema herangeführt. Vortragsveranstaltungen über das Bauhaus, die Konkrete Malerei, die Zwölftonmusik sowie ein Diskussionsabend mit Dozenten und Studierenden der Fakultät Kunsterziehung an der Universität Regensburg sollten das Thema weiter erschließen.
Die Menschen in diesem Ort und ihre Gäste haben wieder über ihren „Tellerrand“, ihren Ortsrand, über ihre eigenen Grenzen geschaut. Wir haben wieder neue Menschen und ihre Ideen kennengelernt, Dies war nur durch die Kunst möglich. Die Kunst und die Künstler haben sich in den Dienst gestellt. Wir haben es wieder erlebt - die Künstler, die „Individualisten“ haben unsere Gemeinschaft bereichert. Wir haben uns mit ihnen auseinandergesetzt - mit ihren Werken - mit ihrer Kunst.
Dadurch haben wir neue Menschen kennengelernt und unseren bisherigen „Tellerrand“ Beratzhausen - Frankreich - Rumänien erweiteret. Die Kreise, die bereits vor einigen Jahren begonnen haben, ziehen weiter - wer dabei war, mag dies spüren. Die zwölf Künstler, ihre Worte, ihre Gesten und natürlich ihre Arbeit haben uns sehr beeindruckt.
Wie in den Jahren zuvor haben wir wieder Neues aus anderen Ländern erfahren. Wir können beispielsweise nicht sagen, daß wir Tschechien kennen. Aber wir haben einen Mann, der in Tschechien lebt, ein wenig kennengelernt. Und wir kennen ein wenig seine Kunst und seine Ideen. Was interessiert uns in dieser Situation, ob das Land, in dem er lebt Tschechien heißt oder früher Tschechoslowakei hieß? Die Menschen stehen plötzlich im Mittelpunkt - das, was sie tun und wie sie leben. Die Kunst macht uns dies möglich.
Die Nationen haben in dieser vertrauten Situation nur noch die Bedeutung von Organisationsstrukturen - so wie der Bauer seine Felder nach verschiedenen Getreidearten unterteilt. Nicht die Namen der Felder sind interessant, sondern das, was auf ihnen wächst. Das von Menschen Organisierte tritt in den Hintergrund, der Mensch selbst steht im Mittelpunkt.
Wenn ein Künstler uns erkärt, warum sein Werk so ist, was ihn bewegt, was er fühlt und denkt, dann kommen wir ihm näher, dem Anderen, dem bisher Fremden.
Möglich wird dies, weil wir eingebunden sind in eine Gemeinschaft, die das gemeinsame Interesse hat, sich zu begegnen, sich dem Anderen zu öffnen und ganz einfach ohne Vorbehalte zu leben.
Die zwölf Künstler hinterlassen uns die zwölf Werke, die sie in Beratzhausen geschaffen haben. Sie sollen bei uns einen festen Platz erhalten. Sie sollen aber auch als Ausstellung in den Ländern gezeigt werden, aus denen Künstler am Symposium teilgenommen haben. So soll mit der Kunst auch der Beratzhausener Gedanke - die Verwirklichung der Europäischen Idee von der Basis aus - in diese Länder ausstrahlen und die Menschen für ein friedvolles Miteinander gewinnen.
Auf der Suche nach einem Symbol für das, was sich in Beratzhausen die letzten Jahre bewegt hat, fällt mir die Verzahnung des Titels dieses Geleitwortes ein:
E U R O P A
B E R A T Z H A U S E N
K U N S T
Diese Verzahnung drängt zu Interpretationen. Ich lasse sie so stehen. Man kann darüber diskutieren oder einfach nur nachdenken.
Wichtig ist, daß wir unseren Weg weitergehen - auf der Suche nach der Kunst und den Menschen.
Michael Eibl